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Folge 186: Traumjob oder Trauma? Selbstfürsorge in der Pflege vom Azubi bis zur erfahrenen Pflegekraft

In diesem Beitrag erfährst du

  • wie du mit schockierenden Erlebnissen klarkommst
  • 3 Säulen wie du dich um dich selbst kümmern kannst
  • Strategien für deine Selbstfürsorge
Born to Pflege Talk der Podcast für Pflegekräfte

Folge 186: Traumjob oder Trauma? Selbstfürsorge in der Pflege vom Azubi bis zur erfahrenen Pflegekraft

Silke Doppelfeld im B2P Talk mit Tobias Gross

Tobias Gross: Letzte Folge gab es eine Bestandsaufnahme – Traumatisierung in der Altenpflege und welche Symptome sich daraus entwickeln können. Wie kann man sich um sich selbst kümmern als Pflegekraft?

Silke Doppelfeld: Dieses Thema wird von Pflegekräften nicht so ernst genommen. Die Aufklärung ist in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Quellen stammen hauptsächlich aus den USA. Erst seit größeren Katastrophen kam es zur Sprache, als Pflegekräften vor Ort z.B. beim Tsunami Hilfe angeboten wurde. In unserer Kultur ist es noch nicht angekommen, dass man auf sich selbst und andere aufpasst. Ja das musst du doch abkönnen, heißt es dann. Wenn ich ständig mit schwierigen Situationen/Ereignissen klarkommen muss, kann ich mich nicht entziehen. Aber wir haben uns niemals damit befasst.

Tobias Gross: Es muss ein Bewusstsein entwickelt werden.

Silke Doppelfeld: Beispiel: Ich habe auf einer Intensivstation gearbeitet, es gab dann irgendwann einen Knall, da haben 9 Leute auf einmal aufgehört und viele davon konnten nicht mehr mit Patienten arbeiten. Ich wollte wissen, was da mit uns passiert ist. Wir waren alle traumatisiert von diesen massiv schweren Verläufen und unglücklichen Ausgängen. Besonders schwierig ist es bei jungen oder gleichaltrigen Patienten.

Tobias Gross: Wir haben uns letztes Mal über Dinge unterhalten, die nicht helfen. Heute würde ich gern über deine ABC-Formel Achtsamkeit, Balance und Connection sprechen. Was kann Selbstfürsorge für uns tun?

Silke Doppelfeld: Nur wer gut für sich selber sorgt, kann auch für andere Sorgen. Egal ob im Helfenden Beruf oder im „normalen“ Leben. Du musst dir deine Kraft vorstellen wie eine Schale, du darfst nur das abgeben, was überläuft und nicht alles an andere abgeben.

Resilienz, was hat es damit auf sich?

Das ist ein modernerer Begriff, man muss Dinge von sich abprallen lassen. Er wird aber auch missbräuchlich genutzt. Es gab auf Hawaii eine Insel, auf der immer wieder eine Flut kommt. Die Menschen dort wissen das und bauen die Häuser immer wieder auf. Ja, im Leben passieren viele schreckliche Dinge, aber es passieren auch viele gute. Ich darf mich nicht von den schlechten so runterziehen lassen. Das passt sehr gut auf die Pflege. Das hat viel mit unserer Haltung zu tun. Man muss es immer von beiden Seiten betrachten.

Tobias Gross: Runterziehen lassen hat dann wohl viel mit dem eigenen Denken zu tun?

Silke Doppelfeld: Wir haben in der Pflege die Angewohnheit entwickelt, immer das Schlechte hervorzuheben. Z.B. bei der Übergabe werden immer die schlimmen Sachen erzählt. Selten wird gesagt, ich habe mich heute gefreut, weil….

Hierzu eine Übung: Es ist die Geschichte einer alten Frau, die ein glückliches Leben geführt hat. Sie hatte eine Handvoll Bohnen in der Kitteltasche. Immer wenn sie sich freute, legte sie eine Bohne von der linken in die rechte Tasche. Abends schaute sie sich die Bohnen nochmal an und reflektierte die Situationen.
Das funktioniert auch toll für unseren Job. Wir stellen einen Becher auf den Tisch und jeder wirft bei schönen Situationen eine Bohne rein, darüber wird bei der Übergabe gesprochen. Damit kann man lernen, die guten Dinge wieder wahrzunehmen.

Tobias Gross: Wie können Azubis auf sich achten?

Silke Doppelfeld: Man braucht einen gesunden Anfängergeist. Die Dinge so sehen, als würde man sie mit ganz neuen Augen sehen. Nicht mit einer Voreinstellung irgendwo reingehen. Gesunde Neugier, dann erlebt man die Dinge auch besonders. Ganz bei sich sein und in sich reinspüren. Wie geht es mir. Bin ich müde, möchte ich viel reden oder gar nicht reden, ganz ohne Bewertung. Auf sich selbst achten, nicht darüber hinweggehen, einfach stehen lassen und im Jetzt und Hier bleiben.

Wir Menschen sind oft in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Auf die jetzige Situation einlassen. Das kann man gut trainieren.

Rituale einbauen. Ankommen, Dienstkleidung anlegen, nach der Schicht wieder in die eigenen Kleider und Dienstkleidung liegen lassen und auch Sorgen und Nöte mit ablegen.

Balance, wie können Schüler sich in Balance bringen?

Das ist eine Lebensaufgabe für uns alle.

Übung aus meinem Unterricht: Eine Batterie hat einen Minus- und Plus-Pol. Was entzieht dir Kraft, was gibt dir Kraft? Gewisse Menschen kosten mich Kraft, gewisse Situationen kosten mich Kraft. Bei vielen hat das Positive mit Hobbies im Privatleben zu tun.

Jeder muss für sich schauen, einen Gegenpol zum beruflichen Alltag zu finden. Man darf das eigene Dasein nicht verlieren, sich nicht nur aus dem Beruf heraus definieren.

Tobias Gross: Was kann man im beruflichen Kontext tun, um sich in Balance zu bringen?

Silke Doppelfeld: Pflegende haben oft ein Problem mit dem Nein sagen. Man neigt dazu, mehr zu geben als man kann. Man muss lernen, Grenzen zu setzen, auch eine Pausenkultur zu leben. Z.B. auch bewusst Trinkpausen einzulegen. In Berufen wie wir sie haben, muss man sich aktiv Pausen ausdenken, um kurz aus dem Hamsterrad herauszutreten.

Tobias Gross: Also negatives nicht dramatisieren und nicht weitererzählen.

Silke Doppelfeld: Ja. Hier muss man unterscheiden zwischen

  • primär traumatisiert – z.B. Flutopfer
  • sekundär traumatisiert – Feuerwehrmann, berufliche Traumatisierung
  • tertiär traumatisiert – ich bekomme es von jemandem erzählt

 

Wenn dort empathische Menschen sitzen, bekommen diese das alles ab. Bei der Polizei und Feuerwehr gibt es bereits geschulte Kollegen, die sogenannte Debriefing Gespräche führen. Dann wird eine Situation einmal erzählt und abgeschlossen. Das gibt es in der Pflege noch nicht.

Tobias Gross: Dritte Säule Connection, wie kann ich das leben?

Silke Doppelfeld: Bleibe in Kontakt mit dir, mit anderen Wesen und der Natur und auch mit Gott. Heute haben Religionen nicht mehr so viel Präsenz. Man weiß aber, dass pflegende Ordensleute nicht so häufig mit Burnout zu kämpfen haben. Diese ziehen sich mehrmals täglich ins Gebet zurück. Man kann akzeptieren, dass es eine höhere Macht gibt, unabhängig von Gott. Ich kann manche Dinge einfach nicht beeinflussen. Ich war z.B. in einem Retreat in den Vogesen. Wir haben uns dort eine halbe Stunde an eine Quelle gesetzt und nur auf das Geräusch gehört. Das macht auch etwas Positives mit mir.

Eine Säule der Identität sind auch Familie und Freunde. Es hat mit unserer Stabilität zu tun, sich ab und zu hinzusetzen und zu reflektieren. Wo liegen denn meine Sorgen? Sind sie finanzieller Art, geht es um Familie, Freunde, Hobbies, … man muss jedes für sich betrachten und ggf. etwas daran ändern.

Tobias Gross: Was können Einrichtungen und speziell auch PraxisanleiterInnen tun, um SchülerInnen gut durch die Ausbildung zu begleiten?

Silke Doppelfeld: Ich bin mit dem generalistischem Rahmenplan ganz zufrieden. Hier ist die Selbstfürsorge tatsächlich inzwischen bereits eingebaut. Hier geht es genau um die oben genannten Themen. Im Rahmenplan steht auch drin, dass der Lehrplan arbeitsbezogen sein muss. Man muss gemeinsam mit den Praxisanleitern schauen, ob der Rahmen für einen gesunden Umgang mit dem Stress gegeben ist.

Es gibt z.B. Häuser, die entzünden, wenn ein Bewohner stirbt, eine kleine Kerze am Eingang, dann kann sich jeder bereits beim Betreten des Gebäudes darauf vorbereiten. Wir würdigen den Menschen, wir stehen zusammen. Wie bekomme ich eine gute Kultur, an welchen Maßnahmen kann das festgemacht werden.

Tobias Gross: Was hältst du von Sportangeboten?

Silke Doppelfeld: Generell gut, ist jedoch schwierig, dran zu bleiben. Nach dem alten Altenpflegegesetz haben wir früher viel niederschwelligen Sport gemacht, z.B. ein gemeinsames Sportabzeichen, einen Spaziergang durch den Wald... das ist gut für die Gemeinschaft. Es kann zwar nicht jeder immer dran teilnehmen, aber immer wieder jemand anderes.

Man kann im Rahmenlehrplan sehr viele reflexive Themen einbauen. Er bietet die Chance, die Schüler gut vorzubereiten.

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