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Folge 199: Manege frei: Die Altenpflege braucht mehr "Pflege"-Clowns

In diesem Beitrag erfährst du

  • was ein Clown in einem Pflegeheim erlebt
  • was Humor und Achtsamkeit miteinander zu tun haben
  • das Humor etwas mit Liebe zu tun hat
Born to Pflege Talk der Podcast für Pflegekräfte

Folge 199: Manege frei: Die Altenpflege braucht mehr "Pflege"-Clowns

Marcel Briand im B2P Talk mit Tobias Gross

Tobias Gross:  Du bist seit über 20 Jahren als Clown in Pflegeheimen unterwegs. Ein neutraler Schweizer.

Marcel Briand: Mit Neutralität habe ich es nicht so. Man kann zwar neutral bleiben, ist aber nicht lustig.

Tobias Gross: Du bist Pflegefachmann und hast als Stationsleitung gearbeitet bis du Clown wurdest.

Marcel Briand: Der Clown kam zu mir und nicht ich zum Clown. Ich musste auf Station mitgestalten, bunte Mischung aus Menschen, die ich mitbetreuen durfte. Es war ein Zufall. Hatten keine Zeit zum Kaffeetrinken, mussten aber Kaffee trinken, geht nicht ohne. Das war der Schlüsselmoment. Wir haben mit den Bewohnern gefrühstückt. Die Wachshülle von Babybel kann man wunderbar auf die Nase klemmen. Wir haben gemerkt, dass vor allem die dement kranken ganz anders auf uns reagiert haben. Wir waren zu dritt. Pflegefachkraft, Praktikant und ich. Wir haben das dann in den folgenden Tagen weiterhin genutzt. Nach einer Woche haben wir uns richtige Clown Nasen gekauft. Wir haben eine Humorgruppe gegründet. Es gab zu dieser Zeit Humorkongresse in Basel. Hatte eine Einladung und dachte, was ist denn das für ein Quatsch. Damals war Erwin Böhm recht groß und jetzt auch noch Humor. Wir sind dann mit dem Team zum Kongress. Michael Christensen ist von New York gekommen, der Clown Pelho, das war die Zeit der Pflegekonzepte. Das letzte nach Gewalt war Humor. Dass war eine Zeit, die mit viel Aufbruch verbunden war.

Damals gab es das erste BuBuBü – Bundes Bündnis für Klinikclowns in Berlin.
Der Clown war ein Instrument, um vor allem mit Demenz betroffenen Menschen in Kontakt zu treten. Weg von Kognition auf eine emotionale Ebene

Tobias Gross: Du hast die Profession abgestreift, wenn du die Nase aufgesetzt hast?

Marcel Briand: Pflege war auch mein Hand- und Herzwerk, das hat sich verändert. Die rote Nase hat mir geholfen, wieder zurückzugehen zu einer herzlichen Qualität. Mir ist es heute wichtig, die Nase zu integrieren, die Herzlichkeit wieder zu integrieren. Ohne Herz und Humor gibt es keine Pflege. Das hat es noch nie gegeben. Aber es ist vielleicht neu, sich damit intensiver zu beschäftigen.

Tobias Gross: Aus deiner Erfahrung. Was brauchen Bewohner am meisten?

Marcel Briand: Menschen. Die meisten wollen nicht gepflegt werden. Sie wollen einen Ort zum Wohnen mit Menschen, die präsent sind. Dass sie Unterstützung brauchen, das ist eine Notwendigkeit, aber das ist nicht der Sinn. Aber wir stellen oft die Notwendigkeit über den Sinn. Die erste Sehnsucht ist als Mensch unter Menschen zu sein. Ich glaube das ist auch die Sehnsucht von Pflegenden.

Geschichten - Humor in der Pflege

Tobias Gross: Gib uns ein Beispiel.

Manuel Benz: In 20 Jahren haben sich eine Menge Geschichten angesammelt. Warum überhaupt Humor in der Pflege? Ich habe eine Geschichte einer nicht von Demenz betroffenen Frau, die relativ selbständig war. Im Spätdienst hat man sie mit Kortison am Bein eingecremt. Unangemeldet kam ein jüngerer Pfleger ins Zimmer. Die Frau war es nicht gewohnt, splitternackt vor anderen zu stehen. Und die Frau hat gesagt, oh mein Gott, jetzt haben sie mich ohne Zähne erwischt. Sie hat für sich entschieden, das wird nicht peinlich, sondern das wird lustig.
Das hätte eine sehr schwierige Situation sein können, aber sie war so schlagfertig, dass sie die Peinlichkeit umgehen konnte. Humor um die Missgeschicke des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu nehmen.

Zweite Geschichte

Manuel Benz: Pflegekraft die mit adipöser Patientin auf Toilette ging. Die Toilette war eng. Die Bewohnerin wollte sich setzen und sie waren verkeilt. Die Pflegerin landete auf der Toilette und die Patientin mit dem nackten Po landete auf ihrem Schoss. Sie mussten klingeln, weil Patientin nicht mehr hochgekommen ist. Sie haben den Alarm gedrückt und dann kamen alle angerannt. Pflegende hat gesagt: „Sie, das haben wir auch schon eleganter hingekriegt.“ Sie hat damit auch die Situation gerettet, da sie sich nicht geekelt hat, sondern die Situation aufgelockert hat.

Dritte Geschichte

Manuel Benz: Es geht um eine demenzbetroffene Frau. Es geht auch um eine Toilette. Die Pflegekraft und Patientin haben es eilig. Es reicht nicht ganz bis zur Toilette. Eine angehörige mit ihrer von Demenz betroffenen Mutter kommen entgegen.

Die Mutter sagt, immer noch besser als verstopft. Ich habe das in einem Buch von einem Heimleiter gelesen. An mich kam die Frage, ob man über so was lachen darf. Nein, darf man nicht, man muss. Dieser Umgang mit der Situation ist die einzige Möglichkeit, um sie nicht beschämend zu machen, sondern aufzulockern. Scham verändert das Verhalten. Demente können nicht selbst reflektieren und hier könnte die Scham in einen Teufelskreis führen.

Wir erleben, das Demente zwar die Scham fühlen, aber aus dem Gefühl nicht mehr herauskommen, weil sie nicht mehr reflektieren können. Da kann der Humor ein richtig gutes Instrument sein.

Was passiert mit demenzbetroffenen Menschen, wenn plötzlich ein Clown daherkommt. Was für Reaktionen bekommst du.

Ich komme durch einen Korridor zu einer fremden Frau. Gott sei Dank, endlich einer mit dem man vernünftig reden kann. Ein Kerl, der auch nicht weiß, der nicht alles richtig macht, also der Demente schlechthin.

Ein Clown aus Stuttgart hat es mal sehr treffend formuliert. Es ist diese Unzulänglichkeit, was den Clown mit der Demenz verbindet. Beide sind weg von der Realität und scheitern regelmäßig. Die beiden „erkennen sich“, sie begegnen sich auf Augenhöhe.

Marcel Briand: Ich hatte viele Rückenschmerzen in der letzten Zeit. Heute kann ich nicht arbeiten, heute habe ich Rückenweh, dann habe ich mich beim Patienten auf den Schoß gelegt und wurde am Rücken gestreichelt. In Hamburg und Ulm gibt es Paro-Verantwortliche (eine Art Tamagotchi). Der Demente kann das Teil streicheln, der Pflegende sitzt auf der Seite und schaut zu, um auf das teure Teil aufzupassen.

Tobias Gross: Wir bewegen uns von der Begegnung mit Menschen eigentlich weg.

Marcel Briand: ich glaube schon, dass wir uns von der echten Begegnung wegbewegen. Ich habe das Privileg als Clown, dass ich Zeit habe. Ich kann jemandem eine Minute lang in die Augen schauen, die Zeit ist im Pflegealltag kaum da. Wir begegnen uns auf einer ganz anderen Ebene. Da spielen Worte und Geist keine Rolle, es geht nur darum, dass sich zwei Seelen berühren. Anderer Kontakt als auf der kognitiven Ebene. Ich erlebe, dass das den Menschen sehr guttut.

Tobias Gross: Beiden, Pflegenden und Pflegebedürftigen ist eigentlich die Zuwendung sehr wichtig.

Marcel Briand:  Wir leben in einer Zeit, … Es gibt eigentlich zwei Sorten von Pflegenden. Ich brauche eine Dokumentation, um gut pflegen zu können, der andere sagt, ich brauche den Bewohner, um gut pflegen zu können. Die Dokumentation wird immer wichtiger und führt uns möglicherweise weg vom eigentlichen Auftrag.

Tobias Gross:Was bewirkt der Humor bei Pflegebedürftigen.

Marcel Briand: Wenn ich es mit einem Wort benennen möchte, dann kommt mir der Begriff Entspannung in den Sinn. Unser Nervensystem will sich entspannen. Ich fühle mich sofort wohler, wenn ich in eine entspannte Situation komme. Es muss kein schallendes Gelächter sein, ich rede von einer humorvollen Gelassenheit. Es geht mir nicht darum, dass alle als Clowns rumrennen, sondern darum, den Clown in mir als Pflegenden zu aktivieren.

 

Den zweiten Teil kannst du in Folge 201 lesen oder direkt im Podcast hören.

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