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Folge 201: Wie du für Deine Bewohner zum Clown wirst und eine echte Begegnung erlebst
Der zweite Teil aus der Manage: Marcel Briand ist Clown und arbeitet in Pflegeheimen
In diesem Beitrag erfährst du
- dass ein Clown Lachen und Nachdenken fördert
- wie auch du den Clown aus dir herausholen kannst

Folge 201:Wie du für Deine Bewohner zum Clown wirst und eine echte Begegnung erlebst
Marcel Briand im B2P Talk mit Tobias Gross
Tobias Gross: Warum Humor im Wohnbereich.
Marcel Briand: Mir geht es darum, den Clown in mir selbst zu aktivieren. Ich wollte noch ein paar Tricks vorstellen. Wir sagen Humorartikel, eigentlich sind es Spielsachen, aber es klingt besser als Scherzartikel. Diese Mittel helfen mir immer, besser in Kontakt zu treten. Humor entsteht in der Situation. Früher bin ich als Arzt gekommen. Mit so einem weißen Kittel aus dem Baumarkt vom Malerbedarf.
Ich erlebe immer wieder, bei dem blöden Spruch, sie haben einen Vogel (Vogel balanciert auf dem Zeigefinger), dass der betroffene Mensch lachen muss. Es ist ein Erfolgserlebnis für einen alten/zitternden Menschen, der Probleme hat, den Löffel zum Mund zu führen. Es ist eigentlich ein kleiner Scherzartikel, aber wenn es einen demenzkranken Menschen dazu bringt, über mich selbst zu lachen, hat das was mit Versöhnung zu tun. Humor ist glaube ich eines der effizientesten Mittel, mit der eignen Persönlichkeit in die Versöhnung zu gehen.
Wie geht’s ihnen mit weißen Mäusen? Tobias öffnet langsam die rote Kiste. Fingerpuppen kommen zum Vorschein. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand sagt, geh weg mit dem Spielzeug. Es geht nie um die Artikel, es geht immer um den Kontakt. Um eine Begegnung auf einer völlig anderen Ebene, als wir das gewohnt sind. Es geht darum, in die Entspannung zu kommen. Ich weiß nicht, wo du deine Trigger hast. Bei mir ist es der Stau. Ich bin eigentlich der Chauffeur vom Clown. Ich werde sehr aggressiv im Stau.
Tobias Gross: Ich musste mal eine Trauung halten und bin im Stau gestanden. Das Gute war, die Braut stand im selben Stau und kam nach mir. Wenn die Braut noch nicht da ist, fragt niemand nach dem Pastor.
Marcel Briand: Dass ich so wütend werde, hat auf den Stau keinen Einfluss. Ich habe ein Konzept entwickelt, den Staurüssel. Ich halte dann an, in meiner Fahrertür ist ein „Staurüssel“ drin. Wenn die Wut ansteigt gibt es einen Punkt, wo eine adäquate Handlung noch möglich ist. Irgendwann, wenn der Punkt überschritten ist, schaltet mein Hirn auf Flucht, Angriff oder Erstarrung. Man kennt es z.B. auch aus Sitzungen. Wir hören schlechter und sehen schärfer in dem Moment. In dem Moment setze ich den Staurüssel auf und die Reaktion meiner Staunachbarn bringt mich aus angespannter Situation heraus. Wir in der Pflege kommen oft mit Harmonie, um solche Situationen zu lösen, aber manchmal hilft es auch, die Emotion rauszulassen.
Tobias Gross: Es geht um echte Begegnungen. Wie kann ich den solche Begegnungen kreieren und meinen inneren Clown aktivieren?
Marcel Briand: Es geht mehr um die Haltung als um die Handlung an sich. Was ist aber eine humorvolle Handlung. Es ist eine humorvolle eine versöhnliche Sichtweise auf die Situation an sich, z. B. auf eine Krankheit. Wir können es runterbrechen. In Themenbereichen, in denen ich nichts ändern kann, hilft es nicht, sich darüber zu ärgern. Aber wenn wir ehrlich sind, gibt es nur wenige Bereiche in denen wir etwas verändern können.
Als ich noch Pflegender war, war ich Bezugsperson für Frau O. Sie war noch in der Klinik und wir haben ein Heim für sie gesucht. Wir sind zur Frau Meier ins Zimmer gekommen, um den Heimleiter zu suchen, der saß bei Frau Meier im Zimmer auf dem Schrank. Wir waren beide verwirrt. Frau O. hatte schon einen kleinen Vorsprung. Es fand ein Paradigmenwechsel statt. Frau Meier hat immer den Impuls, den Schrank hochzuklettern, deshalb hat er den Schrank an die Wand geschraubt. Für mich war das sehr erhellend, wir haben damals eher den Bewohner angebunden.
Es geht einfach darum, etwas anders zu denken. Es war für mich ein Gamechanger. Wenn ich die Haltung verändere, meine Sicht ändere, dann werden plötzlich andere Dinge möglich. Ich bin sehr eingeschränkt in meiner Wahrnehmung, wenn ich nur durch die Maske des Pflegenden schaue, wenn ich aber auch den Clown aktiviere hilft es mir, eine andere Sichtweise zu bekommen. Wenn ich den Clown lokalisieren müsste, würde er bei mir nicht im Magen, eher im Herz liegen.
Wieso ist für Humor Achtsamkeit so notwendig.
Humor ohne Achtsamkeit ist Blöderei, Humor mit Achtsamkeit ist Humor. Was ist denn Achtsamkeit. Für mich ist es, wenn ich die wahrnehme, schaue was wir tun, aber ich auch gleich schaue, wie es mir dabei geht. Wie geht’s mir im Körper, wie geht’s meiner Spannung.
Wir sind in einer permanenten Interdependenz. Der Pflegende braucht eine soziale Rückkopplung und der demenzbetroffene Mensch auch. Ganz oft spüre ich mich über dich. Der Pflegende spürt, was es gerade braucht und der demente Mensch spürt, wie es dem Pflegenden gerade geht. Das Schwinden der Kognition geht meiner Meinung nach einher mit einem Wachsen der emotionalen Wahrnehmung. Weil sie nicht von ihrer eigenen kognitiven Fähigkeit dauernd ausgebremst werden. Wenn man bei uns den Verstand wegnimmt, werden wir sehr menschlich.
Ludwig Hassler hat gesagt, erst wenn wir dement werden, werden wir ein Mensch. Bringt mich die Veränderung meiner Persönlichkeit durch Demenz eher weg oder hin zu meiner eigentlichen Persönlichkeit. Manchmal versuche ich, alle Gedanken auszublenden und im Moment zu sein. Ich versuche zu meditieren, mit all meinen mentalen Kräften einen „dementen“ Zustand zu erreichen. Ich möchte Demenz nicht verharmlosen, aber im Grunde können wir uns was von dementen Menschen abschneiden.
Tobias Gross: Kannst du Beispiele nennen?
Marcel Briand: Ich habe zwei Frauen kennengelernt, die haben sich immer bekriegt. Wenn sie sich begegnet sind, sind sie aufeinander losgegangen. Beide saßen im Rollstuhl. Als Clown habe ich gedacht, ich nehme das ernst und ich bewaffne sie mit einer Spielwaffe. Heute duellieren wir uns mal. Die beiden haben richtig mitgemacht. Keine hat allerdings getroffen, jetzt ist eben unentschieden. Jetzt machen wir es so, die erst die stirbt, hat verloren. Nach einer Woche kam ich wieder und habe erfahren, die eine hat sich in der Physio angemeldet, die andere isst jetzt wieder richtig, weil jede die andere überleben möchte. Als Pflegender hätte ich das nicht gemacht, aber als Clown war mir das möglich.
Andere Geschichte: Mir hat eine Heimleiterin erzählt, sie hätte einen Mann, der 1-2 Mal in der Woche eine Panikattacke hatte, der dachte, er wäre im Krieg. Sie hatten schon alles versucht. Dann hatten sie einen Zivi dort und er alte Mann hatte eine Panikattacke. Der junge Mann sagte, warte mal ich schaue nach. Kommt zurück und sagt zum alten, kein Problem, es sind unsere und der alte Mann konnte entspannen. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept für Demenz, man muss sich individuell einstellen.
Es geht einfach darum, den anderen wahr und ernst zu nehmen.
Ich erinnere an ein Beispiel aus der Schweiz. Ich habe einen Wiener Akzent rausgehört, ich habe Lilli Marlen vom Grammofon laufen lassen, wir haben getanzt und sie hat geweint. Sie hat dann gesagt, komm ich weiß wo wir hinmüssen. Wir müssen übers Trümmerfeld, da hinten ist ein platz da sind wir ungestört… ich habe die Situation ausgehalten, habe sie weiterreden lassen. Als Pflegender habe ich oft die Tendenz, zu beruhigen, zu verharmlosen und nicht die Gefühle zuzulassen. Der Clown ist geschützt durch die Rolle/Figur, ich kann nah ran gehen (psychisch) und mich dabei schützen.
Tobias Gross: Ich habe eine Pflegekraft, die sagt, ich wünsche mir Humor. Wie kann ich Humor im Alltag integrieren?
Marcel Briand: Ich habe es als Clown einfach und viel Material. Das Material kann man prinzipiell auch als Pflegekraft nutzen. Z.B. ein Kinderwaschlappen nutzen oder ein rotes zusätzlich zur Kleidung, um eine Kleinigkeit zu verändern. Ich bin nach 20 Jahren kurz wieder in die Pflege gewechselt und habe gestaunt, was sich alles verändert hat, aber auch was sich alles nicht verändert hat. Ich habe eine Frau gefragt, wo sind sie eigentlich aufgewachsen.
Während der Grundpflege kann ich eine Unterhaltung starten und zum Beispiel über das iPad einen Film über den Geburtsort laufen lassen oder die Lieblingsmusik abspielen. Es geht darum, sich zu interessieren. Bei Humor geht es eigentlich um Liebe. Um Liebe führt eigentlich kein Weg herum. Meine Haltung als Clown, meine Haltung als Pflegender ist eigentlich eine liebende Haltung dem Leben gegenüber.
Wenn ich in eine liebende Haltung gehe, dann liebe ich dich und deine Demenz. Ich muss mich versöhnen, mit dem was passiert ist.
Tobias Gross: Wenn ich die Haltung habe, dass ich im Widerstreit mit dem Leben bin, dann bin ich ständig im Stress. Wenn ich aber eine liebende Haltung habe….
Marcel Briand: Jan Mark Söderberg -"wir wollen alle geliebt werden… werden wir nicht gefürchtet… wir wollen ein Gefühl in unseren Mitmenschen auslösen… Die Seele zittert vor der Leere und sucht Kontakt um jeden Preis. Alles wirkliche Leben ist Begegnung. "
Tobias Gross: Mir war nicht bewusst, dass Clowns Lachen UND Nachdenken fördern.